Infektionsausbreitung und Spritzenaustausch im Strafvollzug

Der Anteil der Gefangenen, die an HIV oder Hepatitis C erkrankt sind, ist im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung relativ hoch. Auch wenn eine Ansteckung nur durch Blutkontakt möglich ist, führt dies in den Justizvollzugsanstalten (JVA) zu Problemen. Denn anders als es teilweise von der Politik behauptet wird, sind die JVAs nicht drogenfrei. Stattdessen werden auch Betäubungsmittel aller Art (beispielsweise Heroin, Kokain, Crack, Amphetamine, Haschisch) in den Gefängnissen konsumiert. Der Anteil der Drogenabhängigen unter der Gefangenen liegt bei 30 bis 50 %. Besondere Probleme bereiten dabei die Drogen, die gespritzt werden, also vor allem Heroin. Spritzen sind in einer JVA schwer verfügbar und daher eine Handelsware unter den Inhaftierten. Da sterile Spritzen nur selten zur Verfügung stehen, wird eine Spritze einschließlich der Kanüle häufig von mehreren Gefangenen benutzt. Aufgrund der hohen Verbreitung von HIV und Hepatitis C kommt es damit zwangsläufig zu einer weiteren Verbreitung.

In unterschiedlichen Projekten wurde den Inhaftieren angeboten, gebrauchte Spritzen gegen sterile einzutauschen. Unter den Bediensteten im Strafvollzug gab es anfangs große Vorbehalte gegen diese Projekte, weil beispielsweise Angriffe mit den Kanülen befürchtet wurden. Diese Befürchtungen erwiesen sich objektiv als unbegründet. Der einzige dokumentierte Fall eines Übergriffs mit einer Spritze fand in Australien statt. Dort gab es keinen Spritzenaustausch.

Der Spritzenaustausch wirkte sich nicht negativ auf drogentherapeutische Maßnahmen aus. Das Strafvollzugsgesetz (zur Zeit der Veröffentlichung gab es noch das bundeseinheitliche Strafvollzugsgesetz) enthielt kein Verbot, ein solches Programm zu betreiben, stellte aber andererseits auch keine Pflicht in dieser Hinsicht auf. Aus dem Angleichungsgrundsatz könnte sich jedoch ein solches Gebot ergeben. Demnach soll der Unterschied zwischen dem Leben außerhalb und innerhalb der JVA nicht stärker als nötig voneinander abweichen. Das Austauschprogramm steht jedoch im Spannungsfeld von Behandlungsauftrag und Gegensteuerungsgrundsatz.