Vereinbarkeit von Brechmitteleinsätzen mit der Europäischen Menschenrechtskonvention

Dieser Beitrag kommentiert das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zur Vereinbarkeit von Brechmitteleinsätzen mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Der Kläger (Beschwerdeführer) in diesem Verfahren wurde vom Amtsgericht Wuppertal wegen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt. Er war dabei beobachtet worden, wie er einer anderen Person einen Plastikbeutel, den er zuvor im Mund aufbewahrt hatte, gegen Geld übergeben hatte. Daraufhin wurde ihm, nachdem er von der Polizei hierzu in ein Krankenhaus gebracht wurde, ein Brechmittel verabreicht. Er erbrach eine Kugel mit etwa 0,2 Gramm Kokain. Das Landgericht bestätigte als Berufungsinstanz das Urteil, verringerte aber das Strafmaß. Die Revision des Beschuldigten vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf wurde verworfen. Das Bundesverfassungsgericht nahm die eingelegte Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. Im Verfahren vor dem EGMR stellte das Gericht eine Verletzung der Rechte aus den Artikeln 3 und 6 der EMRK fest.

Artikel 3 besagt, dass niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafen oder Behandlung unterworfen werden darf. Nach Auffassung des Gerichts muss der Eingriff ein gewisses Mindestmaß an Schwere aufweisen, welches hier jedoch erreicht ist. Sodann muss der Eingriff in einem angemessenen Verhältnis zur Straftat stehen. Handel mit Betäubungsmitteln sei eine schwere Straftat. Es handele es sich hier jedoch nur um einen Straßendealer. Ferner stehe die Ausscheidungskontrolle als mildere Maßnahme zur Verfügung. Das Verabreichen der Medikamente über die Sonde stelle eine Gesundheitsgefahr dar.

Einige Richter haben Sondervoten zu den Entscheidungsgründen verfasst.

Zwei der Richter verneinen eine Verletzung von Artikel 3 EMRK, weil die erforderliche Schwere nicht vorgelegen habe. Ferner ist es für sie nicht von Bedeutung, dass es sich um einen Straßendealer, also um einen Kleindealer, gehandelt habe.

Nach Auffassung von vier anderen Richtern ist es für die Beurteilung der Schwere der Straftat auch entscheidend, dass der Dealer vor der Festnahme bereits weitere Drogen verkauft hat.

Aus Sicht der Verfasser überzeugt die Argumentation des EGMR nicht vollständig. Insbesondere die geringe Schwere der Tat bei einem Straßendealer ist nicht schlüssig, da auch die Straßendealer durchaus größerer Mengen an Drogen/Betäubungsmitteln (Heroin, Crack, Kokain) zum Verkauf (Handeltreiben) bei sich führen. In Hamburg wurden bei einem Brechmitteleinsatz bei einem Straßendealer insgesamt 55 Kugeln (Durchmesser zwischen 3 und 20 Millimeter) gefunden. Bei der Schwere der Straftat ist auch zu berücksichtigen, um welche Art von Betäubungsmitteln es sich handelt. Am häufigsten werden Crack und Kokain gefunden, Heroin nur selten. Haschisch und Marihuana spielen in diesen Fällen keine Rolle. Auch ist zu berücksichtigen, dass in den meisten Fällen ein gewerbsmäßiges Handeln vorliegt. Die Gewerbsmäßigkeit stellt gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) einen besonders schweren Fall dar.

Komplett abzulehnen ist die Argumentation des Gerichts, mit der begründet wird, warum die Ausscheidungskontrolle gegenüber den Brechmitteleinsätzen bei Drogendealern eine mildere Maßnahme sein soll. Die Ausscheidung soll nach der Argumentation des Gerichts weniger intim sein als das Erbrechen, weil es sich beim Erbrechen nicht um eine natürliche Körperreaktion handele.

Das Gericht sieht auch das Recht auf ein faires Verfahren aus Artikel 6 EMRK verletzt. Das Gericht argumentiert wieder mit dem geringen Interesse an einer Strafverfolgung, da keine besonders schwere Straftat vorgelegen habe. Es habe sich nur um einen Dealer gehandelt, der verhältnismäßig geringe Mengen an Drogen verkauft habe. Da aber die Rechte des Beschuldigten massiv verletzt worden seien, liege ein Beweisverwertungsverbot vor.

Das Recht der Selbstbelastungsfreiheit sei für ein faires Verfahren von grundlegender Bedeutung. Auch dieses Recht sei hier verletzt, da sich der Beweis direkt aus dem künstlich ausgelösten Erbrechen ergebe und nicht erst aus einer weiteren Untersuchung. Ferner sei erheblicher Zwang ausgeübt worden. Die Verletzung der Rechte aus Artikel 3 der EMRK und der geringen Schwere der Tat (Straßendealer, der nur geringe Mengen verkauft) führt dazu, dass im Ergebnis auch die Selbstbelastungsfreiheit betroffen ist.

Die Ausführungen des Gerichts überzeugen auch hier nicht. Die Schwere der Tat, also das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Kokain oder Crack), steht nicht wie vom Gericht postuliert in einem unangemessenen Verhältnis zu den Interessen des Beschuldigten. Die Einbußen, die der Beschuldigte hinzunehmen hat, sind auch nicht schwerwiegender als bei anderen Untersuchungsmaßnahmen.