Verteidigungswille bei Körperverletzung und versuchtem Totschlag in Notwehr
BGH 4 StR 551/12 (25.04.2013)
Der Angeklagte war Mitglied mehrerer Zusammenschlüsse mit rechtsradikaler Gesinnung. Nachdem er von Personen aus dem linken Spektrum als Rechtsradikaler geoutet wurde, erklärte er gegenüber einer anderen Person, er müsse nur darauf warten, dass er angegriffen werde. „Das Schöne daran, es wäre sogar Notwehr“, ergänzte der Angeklagte. Am Tatabend fungierte der Angeklagte als Einweiser für Ortsfremde zu einer angemeldeten Veranstaltung. Er befand sich allein in seinem Fahrzeug auf einem Parkplatz in der Nähe der Veranstaltungsgeländes, als eine Gruppe von fünf Personen aus der linken Szene (einer aus der Gruppe führte einsatzbereit ein Pfefferspray bei sich) auf den Angeklagten zukamen, um diesen körperlich zu attackieren. Der Angeklagte erkannte den bevorstehenden Angriff, startete sein Auto und fuhr auf die Angreifer zu. Dabei erkannte er, dass er die Angreifer möglicherweise mit dem Auto erfassen und verletzen könnte, mit der Verursachung von tödlichen Verletzungen rechnete er nicht. Einer der Angreifer sprang aus ungeklärten Gründen nicht zur Seite, sondern wurde von dem Auto mit 25 bis 30 km/h erfasst. Er erlitt eine Hirnblutung, wobei unklar ist, ob Spätfolgen bleiben. Anstatt auf die Gruppe der Angreifer zuzufahren, hätte der Angeklagte zumindest einen sicheren Weg gehabt, um mit dem Auto vor der Gruppe zu fliehen.
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen, weil er aufgrund eines Notwehrexzesses ohne Schuld gehandelt habe (§ 33 StGB).
Der Bundesgerichtshof beanstandet die Begründung des Landgerichts und verweist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurück. Es lag eine Notwehrlage vor. Diese setzt einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff voraus. Der Angriff war hier auch schon gegenwärtig, auch wenn die körperliche Auseinandersetzung selbst noch nicht begonnen hat. Das Landgericht hat nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht ausreichend dargelegt, dass der Angeklagte auch mit Verteidigungswillen gehandelt hat. Das Kennen der Notwehrlage allein reiche dazu nicht aus. Ein Verteidigungswille schließt nicht aus, dass auch andere Motive eine Rolle spielen. Eine Rechtfertigung des Angeklagten wegen Notwehr kann aber dann nicht in Betracht kommen, wenn die anderen Motive so dominant sind, dass der Verteidigungswille dahinter zurücktritt. Insbesondere aufgrund der früheren Äußerungen des Angeklagten, eine auftretende Notwehrsituation ausnutzen zu wollen, kann hier nicht ausgeschlossen werden, dass der Wille zur Verteidigung in Notwehr hier das leitende Motiv war.