Effektive Verteidigung durch Ersatzverteidiger in der Hauptverhandlung

Effektive Verteidigung durch Ersatzverteidiger in der Hauptverhandlung

BGH 2 StR 113/13 (20.06.2013)

Der Angeklagte wurde wegen Beihilfe zur Unterschlagung vom Landgericht Kassel zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Seine Revision war wegen einer zulässigen und begründeten Verfahrensrüge erfolgreich und führte zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache.

Dem Angeklagten war ein Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger beigeordnet. Am vierten Hauptverhandlungstag erschien der Pflichtverteidiger nicht, da er sich in ärztliche Behandlung begeben musste. Es war davon auszugehen, dass er zwei Stunden später an der Verhandlung teilnehmen könne. Daher wurde die Hauptverhandlung für etwa zwei Stunden unterbrochen. In dieser Zeit wurde dem Gericht mitgeteilt, dass der Pflichtverteidiger an diesem Tag nicht mehr an der Hauptverhandlung teilnehmen kann.

An diesem Tag sollte – aufgrund eines Beweisantrages des Pflichtverteidigers – ein Zeuge mit ausländischem Wohnsitz vernommen werden. Die Strafkammer wollte dem Zeugen eine erneute Anreise ersparen. Daher sorgte das Gericht dafür, dass der Angeklagte durch einen anderen Rechtsanwalt vertreten wurde und ordnete diesen als Pflichtverteidiger bei. Dieser Verteidiger konnte ein kurzes Gespräch mit dem Angeklagten führen, nahm aber keine Einsicht in die Ermittlungsakten. Auf Antrag des Verteidigers eines Mitangeklagten wurde die Vernehmung des Zeugen wörtlich protokolliert. Der kurzfristig eingesprungene Verteidiger stellte dem Zeugen keine Fragen.

Der Angeklagte wurde an den folgenden Verhandlungstagen wieder vom ursprünglichen Verteidiger verteidigt. Er beantragte die erneute Vernehmung des Zeugen, der am vierten Verhandlungstag in Anwesenheit des „Ersatzverteidigers“ vernommen wurde. Der Antrag wurde von der Strafkammer abgelehnt.

In der Durchführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit des ursprünglichen Pflichtverteidigers liegt eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung. Der Angeklagte ist an diesem Tag zwar nicht unverteidigt gewesen (im Falle einer notwendigen Verteidigung hätte darin ein Revisionsgrund gelegen). Das Gericht hatte aber die Möglichkeit, die Hauptverhandlung auszusetzen, also an dem Termin ohne den ursprünglichen Pflichtverteidiger nicht weiter zu verhandeln, oder einen anderen Rechtsanwalt zum Pflichtverteidiger zu bestellen. Die Entscheidung steht im Ermessen des Gerichtes. In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass der eingearbeitete und vertraute Verteidiger bei kurzfristiger Krankheit im Regelfall zu erhalten und die Hauptverhandlung daher auszusetzen ist. Die Regelung des § 145 StPO diene einer effektiven und angemessenen Strafverteidigung und nicht der Verfahrenssicherung.

Nach Auffassung der Rechtsprechung steht es im freien Ermessen des Gerichtes, beim Ausbleiben des bisherigen Pflichtverteidigers einen neuen Verteidiger zu bestellen oder die Verhandlung auszusetzten oder zu unterbrechen, um eine weitere Verteidigung durch den bisherigen Verteidiger zu ermöglichen. Wenn der „Ersatzverteidiger“ aus seiner Sicht eine hinreichende Einarbeitungszeit hatte, kann das Gericht dies nicht überprüfen. Wenn der Verteidiger aber objektiv nicht genug Zeit für die Einarbeitung hatte oder sich aus sonstigen Anhaltspunkten ergibt, dass die Möglichkeit einer effektiven Verteidigung nicht gewährleistet ist, kann die Fürsorgepflicht des Gerichtes es gebieten, die Verhandlung auszusetzen oder zu unterbrechen.

Dadurch, dass in diesem Fall die Beiordnung eines anderen Verteidigers erfolgte, ist die Verteidigung erheblich einschränkt. In der Kürze der Zeit konnte sich der Verteidiger nicht auf den Stand des Verfahrens bringen.

Für die Revision ist es unerheblich, dass der neue Verteidiger selbst nicht den Antrag auf Unterbrechung des Verfahrens gestellt hat. Es wurde nur ein Verteidiger gesucht, der die Vertretung übernimmt, um die Vernehmung des Zeugen zu ermöglichen. Ein anderer Verteidiger wäre nicht beigeordnet worden. Das Gericht hätte erkennen müssen, dass der Verteidiger nur formal die Verteidigung übernimmt, sich an der Sache aber nicht weiter beteiligt.