Totschlag trotz bewusster Selbstgefährdung

Totschlag trotz bewusster Selbstgefährdung

BGH 1 StR 328/15 (02.05.2015)

Der Angeklagte wurde vom Landgericht wegen Totschlags durch Unterlassen verurteilt. Seine Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH) hatte keinen Erfolg. Folgendes Tatgeschehen wurde festgestellt:

Der Angeklagte hatte mit mehreren Personen bereits am Nachmittag Drogen und Alkohol konsumiert. Die Gruppe begab sich später in die Wohnung des Angeklagten. Dort kam es weiterhin zum Konsum von Alkohol, Cannabis und Amphetaminen. Der Angeklagte bot den anderen Personen die Droge Gammabutyrolactan (GBL) an, das er unverdünnt in einer Glasflasche aufbewahrte. Das spätere Opfer nahm dieses Angebot an. Nachdem der Angeklagte und das Opfer 2-3 ml vom GBL konsumiert hatten, blieb die Flasche frei zugänglich stehen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte der Angeklagte die Anwesenden darauf hingewiesen, das GBL nicht unverdünnt zu trinken. Das Opfer trank jedoch einige Zeit später eine unbekannte Menge des unverdünnten GBL direkt aus der Flasche. Der Angeklagte ging davon aus, dass das Opfer eine tödlich wirkende Menge aufgenommen hat. Er versuchte erfolglos, das Opfer zum Erbrechen zu bringen. Das Opfer verlor das Bewusstsein. Der Angeklagte beschränkte sich darauf, die Atemfrequenz des Opfers zu beobachten. Als das Opfer nur noch sechs bis acht Mal pro Minute atmete, erkannte der Angeklagte die Gefahr, dass das Opfer sterben werde, wenn keine ärztliche Hilfe hinzugezogen wird. Dennoch blieb er vorerst untätig. Es steht fest, dass das Opfer gerettet worden wäre, wenn rechtzeitig Hilfe geholt worden wäre. Ob es der Angeklagte war, der später die Alarmierung eines Rettungswagens veranlasste, blieb unklar.

Das Verhalten des Angeklagten stellt einen Totschlag durch Unterlassen dar. Bei diesen (unechten) Unterlassungsdelikten ist es erforderlich, dass der Täter eine Garantenstellung für das Opfer hat. Diese ergibt sich aus einer besonderen Fürsorgepflicht. Ein typischer Anwendungsfall einer Garantenpflicht besteht bei Eltern gegenüber ihren Kindern.

Hier ergibt sich die Garantenpflicht des Angeklagten aus seiner Herrschaft über die in seinem Besitz in seiner Wohnung befindliche Flasche mit dem hochgradig gefährlichen GBL. Nach der Rechtsprechung hat derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, die Pflicht, Maßnahmen zum Schutz anderer Personen zu treffen. Diese Pflicht umfasst alle Maßnahmen, die ein verständiger und umsichtiger Mensch für erforderlich hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Der Umfang der Schadensabwendungspflicht bestimmt sich nach dem Grad der Gefahr.

Da die Flasche frei zugänglich war, war die Gefahr begründet, dass einer der Anwesenden den Inhalt der Flasche konsumieren würde. Hinzu kommt der Konsum von Suchtmitteln durch die Anwesenden, durch den es zu einer Enthemmung kommen kann. Da vom unverdünnten GBL eine hohe Gefahr ausgeht, waren hohe Anforderungen an seine Sorgfaltspflichten zu stellen.

Rechtlich problematisch ist jedoch die Tatsache, dass das Opfer das GBL selbst konsumiert hat und sein Verhalten damit als freiverantwortliche Selbstgefährdung verstanden werden kann. Die Selbstverletzung ist nicht strafbar, so dass auch die Förderung einer solchen Tat nicht als Körperverletzungs- oder Tötungsdelikt betraft werden kann.

Hier schloss jedoch die Selbstgefährdung durch das Opfer nicht aus, dass der Angeklagte eine Pflicht zur Abwendung des drohenden Todes hatte. Die Erfolgsabwendungspflicht eines Garanten entfällt nicht, wenn er zunächst eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung ermöglicht. Die Garantenpflicht entsteht dadurch, dass aus dem allgemeinen Lebensrisiko eine besondere Gefahrenlage erwächst. Aufgrund dieser Garantenstellung wäre der Angeklagte verpflichtet gewesen, den drohenden Tod des Opfers abzuwenden. Da er dies nicht getan hat, ist sein Verhalten nicht nur als unterlassene Hilfeleistung im Sinne von § 323c StGB strafbar, sondern als Totschlag durch Unterlassen. Die Strafe ist dadurch deutlich höher.