Bedingter Vorsatz zur Tötung

Bedingter Vorsatz zur Tötung

BGH 4 StR 558/11 (22.03.2012)

Der Angeklagte geriet mit dem Nebenkläger in Streit, als dieser in einer Diskothek einen Streit schlichten wollte. Es gab gegenseitige Beleidigungen und der Angeklagte schlug dem Nebenkläger ins Gesicht. Es kam noch zwei weitere Male zu Auseinandersetzungen. Beim dritten Mal wurden der Angeklagte und der Nebenkläger von den Türstehern getrennt, woraufhin sich der Angeklagte entfernte. Der Nebenkläger begab sich zu einem Taxistand. Nach etwa 15 Minuten lief der Angeklagte direkt auf den Nebenkläger zu und stach dem Nebenkläger ein doppelklingiges Messer mit einer Klingenlänge von 11 cm von seitlich hinten kommend in den Rücken. Die achte Rippe des Nebenklägers wurde durchtrennt und das Messer drang noch in die Lunge ein, wodurch den Nebenkläger zu Boden ging. Er erlitt einen Hämatopneumothorax und es bestand akute Lebensgefahr. Die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten betrug zu dieser Zeit 1,58 Promille. Als er zustach, sagte er: „Verreck`, du Hurensohn“.

Das Landgericht verurteilte den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung. Der Angeklagte war bereits wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden. Er hatte dem damaligen Geschädigten mit einem Schraubenzieher in den linken Mittelbauch gestochen. Weiterhin wurde gegen ihn in einem anderen Verfahren ein Strafbefehl wegen vorsätzlicher Körperverletzung erlassen. Ein weiteres Verfahren gegen den Angeklagten wurde eingestellt. Dort hatte er dem Opfer (einem anderen Besucher einer Diskothek) angedroht, er werde „ihn abstechen, wenn er herauskomme“.

Die Staatsanwaltschaft wollte mit ihrer eingelegten Revision eine Verurteilung wegen versuchter Tötung erreichen. Der Bundesgerichtshof beanstandet die Beweiswürdigung des Gerichts.

Das Gericht sieht einige Aspekte, die für einen Tötungsvorsatz des Angeklagten sprechen. Einerseits spreche der Ausspruch „Verreck`, du Hurensohn“ für einen Tötungsvorsatz, ferner sei auch die erhebliche Gefährlichkeit des Stichs zu berücksichtigen. Andererseits sei auch die Tatsache zu beachten, dass der Angeklagte nur einen Stich ausgeführt habe. Zudem sei auch die Alkoholisierung des Angeklagten in die Abwägung einzubeziehen. Da weiterhin davon auszugehen sei, dass zu einer vorsätzlichen Tötung stets eine besonders hohe Hemmschwelle zu überwinden ist („Hemmschwellentheorie“), könne ein Tötungsvorsatz nicht festgestellt werden.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt es bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, dass das Opfer zu Tode kommt. Der Täter, der dennoch weiterhandelt, nimmt einen Tod des Opfers damit billigend in Kauf und handelt damit vorsätzlich. Eine offensichtliche Lebensgefährlichkeit einer Handlung darf bei der Entscheidung, ob ein Tötungsvorsatz vorliegt, nicht zu gering veranschlagt werden. In der Gesamtabwägung des Gerichts liegen einige Widersprüche. So wird die Alkoholisierung des Angeklagten im Urteil an einer Stelle als „nicht unerheblich“ bezeichnet, während an anderer Stelle von einer „lediglich geringen Beeinträchtigung durch Alkohol“ die Rede ist.

Bei der Beurteilung, ob der Angeklagte den Eintritt des Todes billigend in Kauf genommen hat, ist die konkrete Angriffsweise zu berücksichtigen. Auf das Ausbleiben des Todes kann dann nicht mehr vertraut werden, „wenn der vorgestellte Ablauf des Geschehens einem tödlichen Ablauf so nahe kommt, dass nur noch ein glücklicher Zufall diesen verhindern kann“. Hinsichtlich der Hemmschwellentheorie führt der Bundesgerichtshof aus, dass sich das Gericht nicht hinreichend mit der Bedeutung auseinandergesetzt habe, sondern dass schon durch die Handlung des Angeklagten eine Hemmschwelle überwunden wurde.