Vernehmung einer Zeugin bei Sexualdelikt und Körperverletzung

Vernehmung einer Zeugin bei Sexualdelikt und Körperverletzung

Bundesverfassungsgericht 2 BvR 261/14 (27.02.2014)

Die Beschwerdeführerin soll als Zeugin im Strafverfahren wegen eines Sexualdelikts und Körperverletzung aussagen. Sie ist eine mutmaßliche Geschädigte. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, zwischen 2008 und 2013 acht Frauen bewusstseinstrübende Substanzen in die Getränke gemischt zu haben. In sechs dieser Fälle soll er mit den Frauen unter Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit den Geschlechtsverkehr vollzogen haben. Nach Aussage des Angeklagten wurde der Geschlechtsverkehr einvernehmlich durchgeführt. Die Beschwerdeführerin erstattete keine Anzeige. Es wurde erst später bekannt, dass sie möglicherweise auch eine Geschädigte ist und wurde daher als Zeugin vernommen. Die gerichtliche Vernehmung der Beschwerdeführerin ist für den 04. März 2014 vorgesehen. Sie ist inzwischen als Nebenklägerin beigetreten.

Im Januar beantragte die Vertreterin der Nebenklägerin, dass die Vernehmung audiovisuell vorgenommen werden soll. Dabei wird die Aussage der Zeugin zeitgleich im Sitzungssaal übertragen (Bild und Ton). Es wird also nicht nur eine Aufzeichnung der Vernehmung vorgespielt. Bereits durch die Vernehmung durch die Polizei sei ihr Leben „aus den Bahnen“ geworfen worden. Die therapeutischen Fortschritte seien durch eine direkte Konfrontation mit dem Angeklagten gefährdet. Eine Vernehmung im Gerichtssaal würde zu einem nochmaligen Durchleben der Tat führen und könnte eine mit hoher Wahrscheinlichkeit eine längerfristige seelische Destabilisierung oder gar eine Retraumatisierung hervorrufen. Bei ihr liegt eine posttraumatische Belastungsstörung vor, die im Zusammenhang mit dem sexuellen Übergriff steht.

Das Gericht lehnte den Antrag auf Durchführung der audiovisuellen Vernehmung ab. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin am 06.02.2014 Verfassungsbeschwerde. Sie macht eine Verletzung ihres Grundrechts aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG (körperliche Unversehrtheit) und einen Verstoß gegen das Willkürverbot geltend.

Ihr Antrag hat Erfolg. Die Vernehmung als Zeugin darf vorerst nicht direkt, sondern nur audiovisuell vorgenommen werden.

Grundsätzlich ist erst der Rechtsweg über die jeweiligen Fachgerichte zu gehen, bevor das Verfassungsgericht entscheidet. Die Entscheidung des Landgerichts, mit der die audiovisuelle Vernehmung abgelehnt wird, ist jedoch unanfechtbar, sodass gleich eine Entscheidung des Verfassungsgerichts zulässig ist.

Das Verfassungsgericht entscheidet in diesem Eilverfahren aufgrund einer Abwägung. Hier spricht nach Auffassung des Verfassungsgerichts einiges dafür, dass die Interessen der Geschädigten (also der Beschwerdeführerin) vom Landgericht nicht hinreichend berücksichtigt wurden. Auch hält das Gericht es für möglich, dass die Entscheidung auf sachfremden Erwägungen beruhen und damit willkürlich sein könnte. Genannt wird die möglicherweise fehlende technische Ausstattung des Gerichts.