Zwei Jahre Brechmitteleinsätze in Hamburg

In den neunziger Jahren wurde in einigen deutschen Großstädten ein neues Verfahren zum Nachweis des Besitzes von Betäubungsmitteln eingesetzt. Drogendealer bewahrten in Folie verpackte Konsumeinheiten in der Mundhöhle auf. So konnten sie diese schnell verschlucken, wenn sie von der Polizei aufgegriffen wurden. Ein Nachweis der Tat war somit nicht möglich. Daher wurden die Brechmitteleinsätze eingeführt. Den Beschuldigten wurde ein Brechmittel verabreicht und das Erbrochene untersucht. Auf diese Weise sollte der Nachweis des Drogenbesitzes erfolgen können.

Der Beitrag „Zwei Jahre Brechmitteleinsätze in Hamburg“ beschäftigt sich einerseits mit den rechtlichen Voraussetzungen der Brechmitteleinsätze. Andererseits wird auch dargestellt, welche Ergebnisse bei den Einsätzen der ersten zwei Jahre in Hamburg erlangt wurden.

Umstritten war bereits, welche strafprozessuale Norm zur Durchführung dieser Einsätze ermächtigen kann. Diskutiert wurden § 102 StPO (Durchsuchung) und § 81a StPO (körperliche Untersuchung). Die Durchsuchung erfasst jedoch nur eine Inspektion der Körperöffnungen, nicht aber weitergehende Untersuchungen, so dass allein § 81a StPO als Grundlage in Betracht zu ziehen war. Da die Brechmittelensätze von der Intention der Strafverfolgung geleitet waren, kam auch eine Norm aus dem Gefahrenabwehrrecht als Ermächtigungsgrundlage nicht in Betracht.

Zweifel an der Rechtmäßigkeit bezogen sich darauf, ob die Maßnahme ohne gesundheitliche Gefahren für den Beschuldigten ist, ob der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit verletzt ist und zuletzt, ob das Vorgehen insgesamt verhältnismäßig ist.

Vor Durchführung der Einsätze wurden einige Voraussetzungen festgelegt. Bei medizinischen Kontraindikationen (schwere Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, Erkrankungen von Magen, Darm oder Leber, Schleimhauterkrankungen und Tumoren im Bereich der Speiseröhre oder des oberen Magen-Darm-Trakts, Atemalkoholkonzentration von über 0,5 Promille, Bewusstseinsstörungen, neurologische Ausfälle) wurde auf den Einsatz des Brechmittels verzichtet. Weiterhin wurde der Einsatz abgebrochen, wenn 75 % der zugeführten Wassermenge erbrochen wurden, ohne dass Drogen gefunden werden konnten.

Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit liegt nicht vor. Der Beschuldigte wird zu keiner aktiven Mitwirkung gezwungen. Es wird ihm angeboten, dass er das Brechmittel freiwillig selbst trinken kann. Falls er diese Mitwirkungen verweigert (was er tun darf), wird das Brechmittel über eine Magensonde verabreicht. Das künstlich ausgelöste Erbrechen stellt keine erzwungene aktive Mitwirkung dar. Der Wille des Beschuldigten wird nicht gebrochen, sondern er wird umgangen. Ein Erbrechen, das einst als Musterbeispiel einer Körperreaktion galt, die keine Handlung darstellt, ist unabhängig von Willen und damit keine Handlung. Es kommt für die Abgrenzung nicht auf das äußere Erscheinungsbild an.

Weiterhin wird auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Ziel der Maßnahme ist der Nachweis von Straftaten und damit die Gewährleistung einer effektiven Strafverfolgung. Dieses Ziel ist legitim. Das Mittel ist auch geeignet, weil der angestrebte Erfolg gefördert wird. Die konkreten Erfolge werden bei den Ergebnissen benannt. Teilweise wurde die Erforderlichkeit angezweifelt, weil die Ausscheidungskontrolle als mildere Maßnahme zur Verfügung stehe. Dabei wird der Beschuldigte über einen längeren Zeitraum (maximal sogar mehrere Tage) in eine Zelle eingesperrt und die Ausscheidungen werden kontrolliert. Während dieser Zeit findet eine optische Überwachung statt. Während die Verabreichung des Brechmittels lediglich einen Zeitraum weniger Stunden in Anspruch nimmt und ohne Gesundheitsgefahren abläuft, ist bei der Ausscheidungskontrolle eine Freiheitsentziehung für mehrere Tage erforderlich. Dass die permanente optische Überwachung nicht in die Menschenwürde eingreift, ist kaum vorzustellen. Auch die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne wurde von den deutschen Gerichten bejaht. Einem Eingriff von geringer Intensität steht demnach ein gewichtiges Schutzgut gegenüber. Eine funktionierende Strafrechtspflege im Bereich der Drogenkriminalität (wobei in Fällen der Brechmitteleinsätze regelmäßig nahelag, dass gewerbsmäßiges Handeltreiben vorliegt) ist demgegenüber höherwertiger.

In Hamburg wurden zwischen August 2001 und Juli 2003 insgesamt 272 Brechmitteleinsätze beantragt und in 244 Fällen auch tatsächlich durchgeführt. In 28 Fällen wurde die Anordnung zurückgenommen oder der Einsatz aus medizinischen Gründen abgelehnt. Nur drei der Beschuldigten waren weiblich. Dies mag allerdings auch eine Folge der Selektion kontrollierten Personen sein. Etwa ein Drittel der Beschuldigten waren Heranwachsende, ein Viertel waren Jungerwachsene, etwa ein Fünftel waren Jugendliche. Über 80 % der Beschuldigten waren Afrikaner.

In 156 der 244 Fälle (63,9 %), in denen ein Brechmitteleinsatz durchgeführt wurde, wurden Drogen erbrochen. In weiteren zwei Fällen konnten Drogen, die sich noch in der Mundhöhle des Beschuldigten befanden, erst durch die Durchführung des Brechmitteleinsatzes sichergestellt werden. Es gab unterschiedliche Gründe dafür, dass bei 86 Fällen keine Drogen sichergestellt werden konnten. Einerseits ist es möglich, dass keine Drogen verschluckt wurden. In anderen Fällen war die Menge des Erbrochenen deutlich geringer als die Menge des einführten Wassers. In diesen Fällen ist es möglich, dass der Beschuldigte vorsorglich ein Antiemetikum genommen hatte. In einigen Fällen war die Zeitspanne zwischen der Beobachtung des Schluckaktes durch die Polizei und der Durchführung des Brechmitteleinsatzes so groß, dass sich die Drogen möglicherweise bereits nicht mehr im Magen befanden.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) sah in dieser Maßnahme ein Verstoß gegen Menschenrechte. Dabei bedient er sich teilweise einer etwas fragwürdigen Argumentation. So sieht er einen Verstoß gegen die Menschenwürde im Gegensatz zur Ausscheidungskontrolle gerade darin, dass das Erbrechen ein unnatürlicher Vorgang sei, während die Ausscheidung auf natürlichem Wege einen normalen Vorgang darstellt. Mit dieser Abgrenzung trifft er eine Differenzierung, die der Medizin fremd ist. Ferner überzeugt es nicht ansatzweise, dass ein natürlicher Körpervorgang die Menschwürde weniger betrifft als ein unnatürlicher. Auch sieht er eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens. Nach dieser Entscheidung haben die Brechmitteleinsätze keine praktische Bedeutung mehr. Als Sicht der Strafverfolgung war es eine erfolgreiche Maßnahme. Über die kriminalpolitische Vernunft ließ sich von Anfang an streiten.