Pflichtverteidiger im Strafverfahren gegen Jugendlichen

Pflichtverteidiger im Strafverfahren gegen Jugendlichen

OLG Hamm 3 Ss 1163/02 (14.05.2003)

Der Angeklagte wurde vom Jugendschöffengericht wegen Bedrohung unter Einbeziehung anderer Entscheidungen zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Der Angeklagte wurde nicht von einem Rechtsanwalt als Verteidiger vertreten. Im Verfahren wurden mehrere Zeugen vernommen. Der Angeklagte hatte keine Einsicht in die Ermittlungsakten. Er war zuvor zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt worden, von der er bereits ein Jahr und 8 Monate verbüßt hatte. Er legte Revision ein mit der Begründung, dass ein Fall notwendiger Verteidigung vorgelegen habe und er nicht von einem Rechtsanwalt vertreten wurde. Das Vorliegen einer schwierigen Beweislage konnte er nicht darlegen. Seine Revision hatte keinen Erfolg.

Gemäß § 68 Nr. 1 JGG in Verbindung mit § 140 Abs. 2 StPO ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers erforderlich, wenn der Angeklagte keinen Wahlverteidiger hat und die Mitwirkung eines Verteidigers wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage geboten ist oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Angeklagte nicht selbst verteidigen kann.

Die Schwere der Tat beurteilt sich insbesondere nach den zu erwartenden Rechtsfolgen. Dabei ist unerheblich, ob sich die Rechtsfolge aus der abzuurteilenden Tat oder aus einer zu bildenden Gesamtstrafe ergibt.  Ab einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wird, wird die Notwendigkeit einer Verteidigung durch einen Rechtsanwalt bejaht. Auch im Jugendstrafverfahren ist diese Erwartung für eine Pflichtverteidigerbestellung zu Grunde zu legen. Das Revisionsgericht ist aber nicht der Auffassung, dass die Beiordnung eines Pflichtverteidigers zwingend erforderlich ist, wenn eine Jugendstrafe verhängt wird.

Bei der Entscheidung über die Beiordnung eines Pflichtverteidigers ist im Jugendstrafrecht nicht nur die Höhe der zu erwartenden Strafe, sondern auch die Verteidigungsfähigkeit des Jugendlichen zu berücksichtigen.

Auch dadurch, dass die Anklage beim Jugendschöffengericht erfolgte, ergibt sich nicht die Notwendigkeit der Beiordnung eines Pflichtverteidigers. Während ein Erwachsener vor dem Schöffengericht angeklagt wird, wenn die zu erwartenden Freiheitsstrafe bei einem Vergehen bei über zwei Jahren liegt, erfolgt die Anklage beim Jugendschöffengericht bereits dann, wenn die Verhängung einer Jugendstrafe zu erwarten ist. Diese beträgt als Minimum 6 Monate, so dass durchaus Jugendstrafen und damit Anklagen beim Jugendschöffengericht möglich sind, ohne dass wegen der Höhe der zu erwartenden Strafe die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erforderlich ist.

Entscheidend ist in dem hier vorliegenden Fall, dass der Angeklagte bereits ein Jahr und acht Monate der Jugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verbüßt hatte. In Betracht kam lediglich eine Strafe unter Einbeziehung dieser Jugendstrafe, die diese um wenige Monate übersteigt. Aufgrund dieser geringen weiteren Freiheitsentziehung ist das Gericht der Auffassung, dass kein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt und daher kein Pflichtverteidiger zu bestellen ist.