Absolute Fahruntüchtigkeit von Gespannfahrern
OLG Oldenburg 1 Ss 204/13 (24.02.2014)
Der Angeklagte wurde von der Polizei angehalten, als er mit einer Kutsche, die von zwei Pferden gezogen wurde, auf einer öffentlichen Straße fuhr. Dabei hatte er eine Blutalkoholkonzentration von 1,98 Promille. Das Amtsgericht verurteile ihn wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr. Der Angeklagte legte Berufung gegen das Urteil ein. Das Landgericht sprach ihn frei. Nach Auffassung des Landgerichts lag keine absolute Fahruntüchtigkeit vor. Bei Autofahrern liegt der Grenzwert hierfür bei 1,1 Promille, bei Fahrradfahrern bei 1,6 Promille. Das Landgericht überträgt diese Werte aber nicht auf den Lenker eines Pferdegespanns. Der Wert bei PKW-Fahrern sei nicht übertragbar, da die Kutsche mit erheblich geringerer Geschwindigkeit unterwegs sei. Der Wert für Radfahrer sei nicht übertragbar, da dieser vor allem auf die Fähigkeit zum sturzfreien Fahren bei Kreis- und Slalombahnen abstelle. Auch wenn die Grenze zur relativen Fahruntüchtigkeit überschritten gewesen sein mag, spiele dies keine Rolle, da kein alkoholbedingter Fahrfehler vorgelegen habe.
Gegen diesen Freispruch legte die Staatsanwaltschaft Revision ein. Das Oberlandesgericht verwies das Verfahren an das Landgericht zurück, weil der Freispruch aus rechtlichen Gründen keinen Bestand haben konnte. Die Annahme, dass bei Gespannfahrern mit 1,98 Promille die absolute Fahruntüchtigkeit noch nicht erreicht sei, hielt das Oberlandesgericht für rechtsfehlerhaft.
Der Bundesgerichtshof entschied 1966, dass ein Autofahrer mit 1,3 Promille nicht mehr in der Lage sei, den Anforderungen bei schwieriger Verkehrslage gerecht zu werden. Dieser Grenzwert wurde 1990 auf 1,1 Promille reduziert. Die psychologische Leistungsfähigkeit sei so vermindert und die Gesamtpersönlichkeit so verändert, dass der Fahrer den Anforderungen des Verkehrs nicht mehr durch rasches, angemessenes und zielbewusstes Handeln gerecht werde. Die Reduzierung wurde mit den gestiegenen Anforderungen an die Leistungsfähigkeit im Straßenverkehr begründet.
Den Grenzwert für Radfahrer legte die Rechtsprechung zunächst auf 1,7 Promille fest. Die Festlegung dieses Grenzwertes ergibt sich aus den Gefahren, die sich daraus ergeben, dass ein alkoholisierter Radfahrer durch Gleichgewichtsprobleme überholende oder entgegenkommende Autofahrer zu Ausweichreaktionen zwingen kann.
Auf die Benutzung von elektrisch angetriebenen Rollstühlen hat die Rechtsprechung die Werte für Radfahrer übertragen.
Die Grenze für den Wert der absoluten Fahruntüchtigkeit bemessen die Gerichte nach zwei Faktoren. Erstens ist das jeweils benutzte Fahrzeug relevant. Zweitens geht es um die Anforderungen, die an die Nutzung dieses Fahrzeugs im Straßenverkehr gestellt werden. Auf diesen Fall bezogen kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass bei Gespannfahrern ein Vergleich mit Autofahrern angemessen ist.
Kutschführer müssen im Straßenverkehr eine Vielzahl von Anforderungen erfüllen. Das von einem Sachverständigen, der sich für die Einführung einer Fahrausbildung für Gespannfahrer ausspricht, beratene Gericht geht von folgenden Tatsachen aus: Das Pferd bedürfe einer Führung durch den Gespannfahrer, es sei nicht zu einer Eigenreaktion fähig. Erschwerend komme hinzu, dass Pferde Fluchttiere seien. Daher sei die gute Reaktionsfähigkeit des Gespannfahrers bei unvorhergesehenen Situationen von großer Bedeutung. Die Normale Geschwindigkeit bei solchen Fahrten liege bei etwa 8 km/h. Im Galopp der Pferde könne das Gespann auch 40 km/h erreichen. Der Gespannfahrer müsse daher jederzeit in der Lage sein, die Leinen und seine Stimme zur Kontrolle der Pferde einsetzen zu können. Darin liege der wesentliche Unterschied zum Radfahrer. Prägend sei auch, dass im Straßenverkehr die Gefahr, dass die schreckhaften Pferde auf einen Reiz reagieren könnten, beim Radfahrer in dieser Form nicht existiere.
Auch bezüglich der Fahrzeuggröße wie auch der Wendigkeit und Beweglichkeit ist eine Kutsche nach Auffassung des Gerichts mehr mit einem Auto als mit einem Fahrrad zu vergleichen.
Bei der Grenze der Fahruntüchtigkeit gelten für Gespannfahrer daher die Werte von Autofahrern und nicht die von Radfahrern. Daher lag eine absolute Fahruntüchtigkeit des Fahrers vor. Da das Landgericht die absolute Fahruntüchtigkeit verneint hatte, war das Urteil aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.